Maya ist Mittelfeldspielerin in der Schulmannschaft der Realschule. Sie ist eine vorzügliche Fußballerin. Doch hat Maya einen Fehler: Sie ist zu ehrgeizig. Deshalb neigt Maya zu Alleingängen. Sie will die Tore schießen. Sie will, dass alle ihr zujubeln. Deshalb gibt sie den Ball nicht rechtzeitig ab. Die Trainerin hat ihr schon oft ins Gewissen geredet. Beim heutigen Spiel gegen die Mannschaft des Gymnasiums allerdings spielte sie vorbildlich zu. Durch ihre genauen Pässe an die Stürmerinnen der Realschulmannschaft bereitet sie zwei Tore vor. Nach dem Spiel kommt die Trainerin in die Umkleidekabine und sagt: „Mensch Maya! Das hast Du heute klasse gemacht! Ohne Deine genauen Pässe hätten wir nie und nimmer gewonnen“. Maya ist mächtig stolz und nimmt sich fest vor, künftig immer so zu spielen.
Aus dieser Geschichte gehen drei Gesichtspunkte hervor, die wichtig für das Loben sind.
Gesichtspunkt 1: Zum Lob gehören wenigstens zwei Menschen: (a) einer, der lobt, und (b) einer, der gelobt wird. In unserer Geschichte lobt (a) die Trainerin; in unserer Geschichte wird (b) Maya gelobt. Die Person, die (a) das Lob ausspricht, nenne ich den Lobsender oder die Lobsenderin. In der Beispielgeschichte ist die Trainerin die Lobsenderin. Die Person, die (b) gelobt wird, nenne ich die Lobempfängerin. In der Beispielgeschichte ist Maya die Lobempfängerin.
Gesichtspunkt 2: Es muss immer etwas geben, wofür wir gelobt werden. Stellen wir uns vor, Petra, die für die Realschulmannschaft im Tor steht, erzählt zuhause: Maya hat heute ein dickes Lob erhalten. Die Eltern werden wissen wollen, wofür Maya denn gelobt wurde. Das, wofür die Lobsenderin die Lobempfängerin lobt, nenne ich den Lobinhalt.
Gesichtspunkt 3: Manchmal gibt es beim Lob Zuhörer oder Zuhörerinnen. Die anderen Mädchen der Realschulmannschaft hören, wie die Trainerin Maya lobt. Die, die zuhören, nenne ich die Lobhörerinnen oder Lobhörer.
Ich beginne die genauere Untersuchung mit Gesichtspunkt 2, dem Lobinhalt. Der Lobinhalt muss sechs Bedingungen erfüllen:
Bedingung 1 nenne ich die Gutheitsbedingung: Wir werden für etwas gelobt, was gut und richtig ist. Wenn Maya wieder nicht abgegeben hätte, dann hätte die Trainerin sie sicher nicht gelobt. Vielmehr hätte die Trainerin sie dann getadelt. Weil wir für etwas, was gut und richtig ist, gelobt werden, macht uns Lob auch stolz. Denn wir sind stolz, sobald andere wahrnehmen, was gut an uns ist, und dann auch äußern, dass sie das gut finden.
Bedingung 2 nenne ich die Vergangenheitsbedingung: Wir werden für etwas gelobt, was in der Vergangenheit liegt. Maya wird dafür gelobt, wie sie gespielt hat, nicht dafür, wie sie spielen wird. Mit Blick auf die Zukunft würde die Trainerin Maya ermahnen oder vielleicht sogar warnen, bloß nicht wieder einen Alleingang nach dem anderen zu versuchen. Daraus ergibt sich ein kleiner Test, um herauszufinden, wofür man lobt: Überlege dir, was du jemandem für die Zukunft dringend ans Herz legen würdest, wozu du ihn ermahnen oder ermuntern würdest! Genau dafür kannst du ihn loben, nachdem er es tatsächlich getan hat.
Bedingung 3 nenne ich die Verantwortungsbedingung: Wir werden für etwas gelobt, was in unserer Hand lag, für das, was wir auch anders hätten machen können, kurz das, wofür wir verantwortlich sind. In dieser Hinsicht ähneln sich Lob, Tadel und Vorwurf. Immer geht es um etwas, wozu wir uns entschieden haben. Tue ich etwas aus Versehen, verdiene ich Lob oder Tadel nicht. Eben so wenig werden wir für das gelobt, was wir von Natur aus haben: Nehmen wir an, Maya hat schöne, blaue Augen. Für ihre Augenfarbe loben wir Maya nicht. Da können wir ihr allenfalls ein Kompliment machen.
Bedingung 4 nenne ich die Vorbildbedingung: Wir werden zunächst und ausdrücklich für ein Verhalten in der Vergangenheit gelobt. Maya wird dafür gelobt, den Ball rechtzeitig abgegeben zu haben. Dahinter steht aber mehr: Indem Maya abgibt, verhält sie sich umsichtig, zeigt sie, dass sie das Wohl der ganzen Mannschaft im Blick hat und nicht nur ihren eigenen Vorteil, dass sie sich eingliedern kann. Sie verhält sich so, wie man sich als Mittelfeldspielerin verhalten sollte. Sie verhält sich vorbildlich. Indem wir ein bestimmtes Verhalten loben, verweisen wir auf allgemeine Regeln und Muster, wie gut und richtig zu handeln sei.
Bedingung 5 nenne ich die Gemeinwohlbedingung: Wir werden nicht für etwas gelobt, was nur für uns selbst gut ist und vielleicht sogar schädlich für andere. Wer zum eigenen Vorteil etwa unfair spielt und dadurch gewinnt, den loben wir nicht. Lob bezieht sich aufs Wohl der Gruppe, aufs Wohl der Allgemeinheit.
Bedingung 6 nenne ich die Bedingung der Bemühung: Wir werden in der Regel für das gelobt, was uns eine gewisse Anstrengung oder Überwindung kostet. Maya muss sich einen Ruck geben, den Ball abzugeben. Sie muss sich überwinden.
Soviel zunächst zur Frage, wofür wir gelobt werden.
Ich wende mich nun den Sendern und den Empfängern des Lobs zu. In unserer Geschichte ist die Trainerin die Senderin des Lobs; Maya ist die Empfängerin des Lobs.
Zunächst sieht es ganz einfach aus. Die Trainerin sagt:
„Mensch Maya! Das hast Du heute klasse gemacht! Ohne Deine genauen Pässe hätten wir nie und nimmer gewonnen“.
Das ist aber nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Trainerin tut.
Zunächst beobachtet die Trainerin Maya schon länger. Sie sieht, Maya neigt zu Alleingängen. Dazu schweigt sie nicht. Sie spricht Maya an, ermahnt sie, früher den Ball abzugeben. Sie will, dass Maya ihr Verhalten und auch ihre Einstellung ändert. Nun sieht sie, dass Maya beim Spiel gegen die Mannschaft des Gymnasiums so spielt, wie eine Mittelfeldspielerin spielen sollte. Auch dazu schweigt die Trainerin nicht. Sie entscheidet sich dazu, Maya vor allen zu loben. Sie hätte auch Maya beiseite nehmen können, um sie unter vier Augen zu loben. Die Trainerin verfolgt damit eine Reihe von Zielen: (i) Sie will, dass Maya künftig immer so spielt wie heute. Sie will Mayas Verhalten beeinflussen. Sie will Maya erziehen. (ii) Sie will allen noch einmal deutlich machen, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Da spielt nicht jeder für sich. Sie sagt also allgemein etwas darüber, wie man sich zu verhalten hat. (iii) Damit will sie, je nach dem, die anderen Spielerinnen ebenfalls anspornen und ermutigen, sich ebenfalls so zu verhalten. Sofern einige Mädchen ebenfalls dazu neigen, im Spiel sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sagt die Trainerin durch die Blume: Nehmt euch ein Beispiel an Maya!
In der Beispielgeschichte steht die Trainerin über Maya. Es sieht so aus, als ginge Lob von oben nach unten. Die Meisterin lobt den Lehrling; der Lehrer lobt die Schülerin; die Professorin lobt den Studenten. Wer lobt, steht über dem, der gelobt wird, so wie eben die Trainerin über der Spielerin Maya steht. Zu sagen, der Student lobt den Professor für dessen Vorlesung, hört sich seltsam an. Wer lobt, muss ein Recht haben, diese übergeordnete Stellung einzunehmen. Dieses Recht hat, wer sich auskennt und seine Fähigkeit durch Leistungen bewiesen hat. Wer lobt, ähnelt einem Richter. Wer lobt ähnelt jemandem, der das Recht hat, fremdes Verhalten zu beurteilen.
Deshalb kann es auch kränkend sein, aus unberufenem Mund gelobt zu werden. Die Lobempfängerin denkt dann schnell: „Was bildet der oder die sich eigentlich ein, mein Verhalten beurteilen und bewerten zu dürfen?!“ Aus diesem Grund benutzen wir das Verb loben auch nicht, um jemanden zu loben. Die Trainerin sagt nicht: „Maya, ich lobe Dich dafür, dass Du heute so gespielt hast!“ Das Verb loben zu benutzen würde die Überlegenheit noch einmal fett unterstreichen. Das zu tun ist aber unfein und unschicklich! Wer betont, über anderen zu stehen, kann sich nicht benehmen.