Ich beginne mit einem Beispiel:
Michaels Oma fährt für eine Woche in Urlaub. Vorher sagt sie zu Michael: „Michael, kannst Du die Blumen auf meinem Balkon gießen, während ich in Urlaub bin?“ Michael antwortet: „Klar, wird gemacht! Versprochen!“
An diesem Beispiel lassen sich wesentliche Eigenschaften des Versprechens entwickeln.
Eigenschaft 1: In der Regel gibt es beim Versprechen zwei Personen: eine Person, die etwas verspricht, und eine Person, der etwas versprochen wird. In unserem Beispiel ist Michael die Person, die etwas verspricht; Michaels Oma ist die Person, der etwas versprochen wird. Es gibt einen Sender des Versprechens (Michael) und es gibt einen Empfänger des Versprechens (Michaels Oma).
Eigenschaft 2: Es muss etwas geben, was der Sender des Versprechens verspricht. Wer sagt: „Ich verspreche!“, muss sagen können, was er denn eigentlich verspricht. Es muss einen Inhalt des Versprechens geben. In unserem Beispiel ist der Inhalt des Versprechens, dass Michael die Blumen der Oma gießen wird. Zu einem Versprechen gehören somit ein Sender des Versprechens, ein Empfänger des Versprechens und ein Inhalt des Versprechens.
Der Inhalt des Versprechens muss wenigstens fünf Bedingungen erfüllen:
Bedingung 1: Ich kann nur versprechen, was in der Zukunft liegt. Es ist Unsinn, zu sagen: „Ich verspreche Dir, letztes Jahr deine Blumen gegossen zu haben.“ Vielmehr sagt Michael: „Ja, Oma, ich werde die Blumen gießen.“
Bedingung 2: Ich kann nur versprechen, was ich selbst tun oder lassen werde. Ich kann nichts für jemanden anderen versprechen. Nehmen wir an, Michael hat eine Schwester, Lisa. Michael kann nicht sagen: „Oma, ich verspreche Dir, dass Lisa deine Blumen gießt!“
Bedingung 3: Das, was ich verspreche, muss in meiner Macht liegen. Michael kann der Oma nicht sagen: „Oma, ich brauche nicht zu gießen. In der nächsten Woche regnet es. Versprochen!“ Michael kann das Wetter nicht beeinflussen.
Bedingung 4: Ich verspreche etwas, was der Empfänger des Versprechens sich wünscht. Offenbar möchte Michaels Oma gerne, dass Michael die Blumen gießt. Seine Oma würde sonst Michael kaum darum bitten, die Blumen zu gießen. Wir versprechen umgekehrt nichts, was für den Empfänger des Versprechens schlecht ist, was der Empfänger des Versprechens gar nicht will.
Bedingung 5: Was völlig klar ist, verspreche ich nicht. Nehmen wir an, Michael sagt zu seiner Mutter: „Morgen werde ich die Schule gehen! Versprochen!“ Die Mutter fände dieses Versprechen ziemlich komisch. Zu versprechen, in die Schule zu gehen, ist allerdings nicht komisch, nachdem Michael in letzter Zeit ganz oft die Schule geschwänzt hatte.
Soviel zu den Bedingungen, die der Inhalt eines Versprechens erfüllen muss.
Eigenschaft 3: Bedingung 1 besagt: Das, was ich verspreche, muss in der Zukunft liegen. Doch es ist nicht jede Aussage über die Zukunft ein Versprechen. Die Wettervorhersage ist kein Versprechen. Ich verspreche nur etwas, was ich selbst in der Zukunft ausführen werde. Doch auch diese Bestimmung ist auch noch nicht genau genug. Nehmen wir an: Michael trifft seinen Freund Peter. Peter fragt: „Was machst Du am Wochenende?“ Michael antwortet: „Am Samstag gehe ich ins Freibad.“ Am Samstag hat Michael aber doch keine Lust ins Schwimmbad zu gehen. Er bleibt zu Hause. Am Montag kommt Peter auf Michael zu: „Mensch Michael, ich war am Samstag im Freibad. Ich dachte, Dich da zu treffen. Wo warst Du denn?“ Peter mag verwundert und ein bisschen verärgert sein, weil Michael nicht im Freibad war. Aber Peter kann Michael keine wirklichen Vorwürfe machen. Nehmen wir jedoch an: Peter fragt Michael: „Sollen wir am Wochenende etwas zusammen unternehmen? Sollen wir ins Freibad gehen?“ Michael antwortet: „Okay, lasse uns in Freibad gehen – abgemacht?“ In diesem Fall könnte Peter Michael richtige Vorwürfe machen, sobald Michael am Samstag nicht im Schwimmbad auftaucht. Kurzum: Wer etwas verspricht, verpflichtet sich, das zu tun, was er verspricht. Das ist bei einer einfachen Aussage darüber, was ich so zu tun plane, nicht so. Würde Michael, um auf unser Anfangsbeispiel zurückzukommen, die Balkonblumen seiner Oma nicht gießen und alle Blumen vertrocknen lassen, dann würde die Oma ihm mit Recht eine Standpauke halten. Was man verspricht, das muss man auch halten.
Was die Ehrlichkeit oder Aufrichtigkeit des Versprechens angeht, sind wenigstens drei Fälle zu unterscheiden:
Fall 1 ist das aufrichtige Versprechen: Manchmal versprechen wir etwas und haben auch die Absicht, das Versprechen zu halten.
Fall 2 ist das unaufrichtige Versprechen: Manchmal versprechen wir etwas und haben überhaupt nicht die Absicht, es zu halten. Ein Beispiel:
Torben will ins Kino. Er ist aber pleite. Torben fragt Lennard: „Kannst Du mir 10 Euro leihen? Ich gebe Dir morgen 10 Euro zurück, versprochen!“ Torben weiß genau, dass er das Geld morgen nicht zurückgeben wird.
In Fall 2 gibt Torben ein falsches, unaufrichtiges, lügenhaftes Versprechen. Er verspricht etwas und hat von Anfang an nicht die Absicht, das Versprechen zu halten.
Fall 3 ist das gebrochene Versprechen: Manchmal versprechen wir etwas und haben am Anfang auch wirklich die Absicht, das Versprechen zu halten. Später jedoch ändern wir unsere Absicht: Michael verspricht der Oma, die Blumen zu gießen. Michael hat auch die Absicht, das zu tun. Er verspricht also ehrlich oder aufrichtig. Doch einen Tag, nachdem die Oma weg ist, fragt Peter Michael: „Hast du Lust mit uns an die Nordsee zu fahren? Meine Eltern haben da ein Haus gemietet und haben mir gesagt, ich kann einen Freund mitnehmen.“ Michael ist begeistert und fährt mit an die Nordsee. Omas Blumen vertrocknen.
Manchmal geben wir ein (1) einfaches Versprechen ab. Michaels Versprechen an die Oma ist einfach: „Ja, ich werde deine Blumen gießen. Versprochen!“ Manchmal geben wir ein (2) Versprechen ab, das nicht einfach ist. Es gibt mithin (1) einfache Versprechen und (2) Versprechen, die nicht einfach sind. Bei (2) Versprechen, die nicht einfach sind, versprechen wir etwas unter einer Bedingung. Versprechen, die nicht einfach sind, könnten auch als bedingte Versprechen bezeichnet werden. Bei (1) einfachen Versprechen versprechen wir etwas ohne Bedingung. Einfache Versprechen könnten auch als unbedingte Versprechen bezeichnet werden. Bei den (2) nicht-einfachen, bedingten Versprechen versprechen wir zwar, etwas zu tun; aber wir machen auch klar: Wir erfüllen das Versprechen erst, sobald bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Solche bedingten Versprechen haben etwa diese Form: „Ich verspreche dir X. Aber ich tue X nur dann, wenn Y.“ Es gibt unterschiedlich Formen der nicht-einfachen, bedingten Versprechen.
Die (2.1) erste Form eines nicht-einfachen, bedingten Versprechens, lässt sich so beschreiben: Wir versprechen zwar etwas zu tun. Wir erfüllen jedoch das Versprechen nur dann, wenn der Empfänger des Versprechens etwas tut oder lässt. Der Empfänger des Versprechens muss eine Art Vorleistung erbringen. Das sagen wir auch gleich zu Beginn klar und deutlich. Ein Beispiel: Michaels Oma macht sich Sorgen um Michael. Sie sagt: „Michael, wenn du bis zu deinem 18. Geburtstag nicht rauchst und nicht trinkst, dann schenke ich dir 2.000 Euro.“
Die (2.2) zweite Form eines nicht-einfachen, bedingten Versprechens, lässt sich so beschreiben: Wir versprechen zwar etwas zu tun. Wir knüpfen aber die Erfüllung unseres Versprechens an die Bedingung, dass (2.2.1) entweder eine dritte Person etwas tut oder lässt oder dass (2.2.2) die Dinge sich zufällig in eine bestimmte Richtung entwickeln.
Manchmal (2.2.1) versprechen wir etwas zu tun oder zu lassen unter der Bedingung, dass eine dritte Person etwas tut oder lässt: Michael wünscht sich ein neues Fahrrad zum Geburtstag. Seine Eltern haben ihm klar gesagt: Das ist zu teuer. Nun liegt eine steinreiche, uralte Großtante von Michaels Vater im Sterben. Michaels Vater sagt nun: „Wenn Tante Leopoldine mich in ihrem Testament als Erbe einsetzt, dann bekommst du dein Fahrrad. Versprochen!“ Ob Michaels Vater sein Versprechen erfüllt, macht Michaels Vater von einer Entscheidung von Großtante Leopoldine abhängig, nämlich der Entscheidung, Michaels Vater Geld zu vererben.
Manchmal (2.2.2) versprechen wir etwas unter der Bedingung, dass durch Zufall etwas passiert: Michael wünscht sich ein Mountainbike. Den Eltern fehlt das Geld. Michaels Vater spielt regelmäßig Lotto. Michaels Vater sagt: „Wenn ich im Lotto gewinne, dann bekommst du das Mountainbike.“
In allen Fällen (2) eines nicht-einfachen, bedingten Versprechens wird die Erfüllung des Versprechens von einer Bedingung abhängig gemacht.
Manchmal liegen die Dinge aber noch anders: (3) Wir versprechen etwas unter der Bedingung, dass der Empfänger des Versprechens auch etwas verspricht. Hier wird nicht die Erfüllung des Versprechen, sondern das Versprechen selbst unter eine Bedingung gestellt: Michaels Schwester Lisa fragt Michael: „In zwei Wochen gehen wir auf Klassenfahrt. Kannst Du meinen Goldfisch füttern?“ Michael antwortet: „Klar, mache ich, wenn Du mir versprichst, über Weihnachten auf meinen Hamster aufzupassen.“ Lisa sagt: „Versprochen!“.
Im Fall (3) haben wir eine Art wechselseitiges Versprechen.
Schließlich gibt es (4) Fälle, in denen ich nur dann etwas tue, wenn der andere ein Versprechen abgibt. Erinnern wir uns: Torben will ins Kino. Er ist aber pleite. Torben fragt Lennard: „Kannst Du mir 10 Euro leihen?“ Lennard: „Ja! Du musst mir aber versprechen, mir am Montag das Geld zurückzugeben“. Torben sagt: „Wird gemacht. Montag hast du dein Geld zurück. Versprochen!“ Lennard gibt Torben 10 Euro.“
In allen Fällen ist es für den Empfänger des Versprechens wichtig, dass der Sender des Versprechens auch tut, was er versprochen hat. So verlässt sich Michaels Oma darauf, dass Michael auch die Blumen gießt. Sie vertraut darauf, dass Michael tut, was er verspricht. Und auch Lennard muss darauf vertrauen können, dass Torben Lennard die 10 Euro pünktlich zurückzahlt. Ein Versprechen beeinflusst unser Handeln. Wenn Michael der Oma nicht versprochen hätte, die Blumen zu gießen, dann hätte die Oma jemanden anderen gefragt. Wenn Torben nicht versprochen hätte, Lennard die 10 Euro pünktlich zurückzugeben, dann hätte Lennard Torben die 10 Euro nicht geliehen. Wer sein Versprechen bricht, dem vertrauen wir nicht mehr. Er kann uns versprechen, was er will: Unser Handeln wird er damit nicht mehr beeinflussen.
Ein wichtiges Gegenteil des Versprechens ist die Drohung. Drohen und Versprechen sind sich einerseits ähnlich: Beim Drohen und beim Versprechen sage ich, was ich tun werde. Ich lege mich fest, in der Zukunft etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Der Unterschied ist: Ich verspreche etwas, was gut ist, für den Empfänger des Versprechens. Wer droht, kündigt hingegen etwas an, was für den Empfänger der Drohung schlecht ist.