Thomas Nisters

Wörterbuch
philo­sophischer Alltags­begriffe

Einführung

Dieses Wörterbuch richtet sich an alle, denen es Spaß macht, zu philosophieren. Um die Ausführungen zu einem Stichwort, zu verstehen, ist es überhaupt nicht nötig, in der Schule oder an der Universität die Philosophie als Fach betrieben zu haben. Vielmehr soll dieses Wörterbuch jedem verständlich sein, der alleine oder zusammen mit anderen gerne philosophiert. Die Sprache ist deshalb so einfach wie möglich gehalten. Fremdwörter und Fachbegriffe fehlen. Überdies veranschaulichen viele Beispiele die Ausführungen.

Zu philosophieren heißt auch, darüber nachzudenken, was Begriffe bedeuten. Den Sinn und die Bedeutung von Begriffen zu ergründen, ist die erste Aufgabe dieses Wörterbuchs. Wer also oft über den Sinn von Wörtern grübelt oder sich mit anderen über die Bedeutung von Wörtern unterhält, vielleicht sogar streitet, darf sich insbesondere vom Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe angesprochen fühlen.

Wer ein Wörterbuch zur Hand nimmt, erwartet mit Recht, dass das Wörterbuch ihn belehrt. Wer sich die Mühe macht, einen Artikel des Wörterbuchs zu lesen, will nachher mehr wissen als vorher. Ich hoffe, mein kleines Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe erfüllt die Aufgabe, zu belehren und aufzuklären.

Das Wörterbuch will und soll zwar belehren; es will und soll aber noch mehr:

(1) Es will einladen, selbst und auf eigene Faust weiterzudenken. Das, was in den einzelnen Artikeln steht, ist oft genug strittig oder fragwürdig. Die Artikel machen im Grunde Vorschläge, wie die Begriffe zu verstehen sind. Ab und an wird in den Artikeln sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass etwas fragwürdig oder strittig ist. Zudem findet sich zu jedem Stichwort eine Liste offener Fragen, die das Wörterbuch nicht beantworten kann oder will. Der Leser oder die Leserin ist eingeladen, selbst weiterzudenken, auf eigene Verantwortung seine oder ihre eigene – vorläufige – Lösung zu suchen. Manche dieser offenen Fragen sind eher knifflig; sie sind für Leser oder Leserinnen gedacht, die schon etwas fortgeschritten sind.

(2) Das Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe will ein Handbuch für Lehrer und Lehrerinnen sein, die Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene im Fach „Philosophie“ unterrichten. Das Wörterbuch will dem Lehrer oder der Lehrerin einerseits in knapper Form mögliche Begriffserklärungen anbieten. Es will andererseits Fragen aufwerfen, die im Unterricht untersucht werden könnten. Hinweise, wie das Wörterbuch für den Unterricht genutzt werden kann, finden sich im Nachwort für Lehrende.

(3) Wer der Meisterin, dem Meister zuschaut und dabei sieht, wie nach den Regeln handwerklicher Kunst gearbeitet wird, mag später versuchen, es auch so zu machen wie der Meister oder die Meisterin. Dabei entwickelt sich erstens die Fähigkeit, selbst handwerklich solide zu arbeiten. Es entwickelt sich zweitens ein guter Geschmack. Der gute Geschmack hilft dabei, Stümperei von einem ordentlichen, gediegenen Werkstück unterscheiden. Wer mithin die Artikel des Wörterbuchs durcharbeitet, übt damit erstens, kunstgerecht zu philosophieren, und schult damit zweitens das Urteilsvermögen, die philosophische Spreu vom Weizen zu trennen.

Die Liste der Wörter, die im kleinen Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe erklärt werden, mag seltsam wirken. Es fehlen nämlich viele Begriffe, die in den großen Philosophen und Philosophinnen viel Kopfzerbrechen bereitet haben und immer noch bereiten: Gott, Wahrheit, Freiheit, Unendlichkeit, Glück, Vernunft, Natur, Geist, Bewusstsein, Ursache. Diese Begriffe kommen nicht vor, weil es so schwierig und so vertrackt ist, sie zu behandeln. Ohne eine fachliche Ausbildung ist es kaum möglich, sich diesen großen Begriffen angemessen zu nähern. Jemand, der anfängt, zu turnen, beginnt auch ja nicht mit einem Salto oder einem Flick-Flack. Wer also erwartet, über die großen, schweren Begriffe aufgeklärt zu werden, wird vom Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe enttäuscht werden. Nicht hingegen enttäuscht wird, wer nach Begriffen sucht, die wir im Alltag oft recht unbefangen gebrauchen. Wir reden in der Regel von Hilfe, vom Lästern, von Neid, ohne uns nähere Gedanken über die Bedeutung dieser Begriffe zu machen. Aber genau dazu will das Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe einladen. Wer dieser Einladung folgt, dürfte sehen, wie schwierig und gewinnbringend es ist, bereits diese recht einfachen Begriffe unter die philosophische Lupe zu legen.

Möglicherweise gibt es noch eine weitere Enttäuschung: Viele Begriffe, die ich erörtere, regen zu Fragen des richtigen, guten oder aber des falschen, bösen Verhaltens an. Wer sich etwa mit der Lüge befasst, ist schnell bei solchen Fragen: Darf ich nie lügen? Gibt es Umstände, in denen es geboten ist zu lügen? Wer etwa übers Helfen nachdenkt, ist schnell bei diesen Fragen: Bin ich verpflichtet, Menschen in Not zu helfen? Wie weit muss ich in meiner Hilfsbereitschaft gehen? Solche Fragen des richtigen oder falschen Verhaltens stehen nicht im Mittelpunkt der Wörterbuchartikel. Vielmehr geht es in erster Linie darum, allererst die Bedeutung der Begriffe zu klären.

Wer sich philosophisch mit Alltagsbegriffen befasst, tappt leicht in eine Zwickmühle: Entweder wird eigenmächtig festgelegt, was die Begriffe bedeuten. Die Bedeutungsvielfalt wird kurzerhand beschnitten. Auf diese Weise wird zwar klar, wie der Begriff verwendet werden soll. Dieses Vorgehen hat aber etwas Gewaltsames. Anderen soll aufgezwungen werden, wie sie den Begriff zu verstehen haben. Oder aber die ganze Buntheit der Begriffsverwendungen wird zugelassen. Auf diese Weise zerfließt die Begriffsbestimmung und wird grenzenlos. Das Wörterbuch philosophischer Alltagsbegriffe versucht diese Zwickmühle zu umgehen, indem der Haupttext des Artikels einen Vorschlag macht, wie der Begriff verstanden werden könnte. Die Zweifelsfragen öffnen das Feld möglicher Bedeutungen dann wieder.

Nicht jeder Begriff bekommt einen eigenen Artikel. Manche Begriffe werden unter anderen Stichworten verhandelt. So hat z. B. Verzweiflung keinen eigenen Artikel. Alles, was das Wörterbuch zur Verzweiflung zu sagen hat, findet sich unter dem Stichwort Hoffnung.

Die Artikel zu den Begriffen sind alle gleich aufgebaut: Zunächst erkläre ich den Begriff; sodann liste ich Zweifelsfragen zur Begriffserklärung auf; schließlich nenne ich die Quellen, aus denen ich schöpfe. Die Begriffserklärungen selbst wiederum folgen ebenfalls stets einem Muster: Ich beginne mit einem oder mehreren Beispielen und erkläre dann Schritt für Schritt auf Grundlage des Beispiels die Bedeutung des Begriffs. Zum Schluss ein Wort zu den Beispielen: Die Beispiele sind mitunter krass. Manche Leserin, mancher Leser könnte Anstoß an den Beispielen nehmen. Die Gefahr, Anstoß zu erregen, nehme ich in Kauf. Krasse Beispiele nämlich helfen, klar verständlich zu machen, worum es geht. Überdies habe ich mir die wenigsten Beispiele selbst ausgedacht, sondern der Wirklichkeit oder literarischen Texten entnommen.